Alexandra Lüthen
Literatur

Bärenbrüder, Dritter Preis im Wettbewerb von Capito Wien, veröffentlicht in "Einfach zum Lesen", Hrsg. Capito Wien


Bärenbrüder

Flieg, Mara, flieg!, flüsterst du.
In deinen Armen kann ich fliegen.
Wir liegen im Bett.
Das Fenster offen.
Auf unserer Haut nur ein dünnes Laken.
Unser Atem ist noch schwer.
Wir atmen tief, wenn wir uns lieben.
Ich ringe nach Luft
wenn Du mit mir schläfst.
Wenn Du mich hältst.
Fest und sicher.
Wenn ich unter dir bin.
Dein Gewicht auf mir.
Schwer und gut.
Wir liegen im Bett.
Das Fenster weit offen.
Deine Augen ge·schlossen.
Ich be·trachte dich.
Nachdem wir uns ge·liebt haben.
Du schläfst und ich schaue.
Ich kenne alles an dir.
Und muss dich doch ansehen.
Ich be·komme nicht genug von dir.
Ich will nicht schlafen.
Keine Zeit ver·schwenden.
Wir haben so wenig Zeit.
Immer zu wenig.
„Was ist mit dir?“, fragst du mich
„Ach, nichts“, sage ich
Doch du willst es wissen.
„Die Zeit“, sage ich,
Sie ist wenig.
Und sie ist schnell.
Warum haben wir so wenig Zeit?“
Du drehst dich auf den Rücken.
Du nimmst eine Zigarette vom Nacht·tisch.
Zündest sie an.
Der Rauch schwebt über uns.
Du gibst die Zigarette mir.
Ich nehme einen Zug.
Dabei will ich doch auf·hören.
Es tut gut.
Ich mag den kleinen Schwindel,
wenn ich rauche.
Es passt zu meinen Gedanken.
Die haben auch Schwindel.
Du und ich.
Da war kein Gedanke.
Ich habe dich ge·sehen
und da war nur Wollen.
So liest man es in Büchern.
So sieht man es in Filmen.
Liebe auf den ersten Blick.
Weiche Knie und Herz·geflimmer.
Nie passiert.
Nie passiert.
Und dann so.
Und dann der.
Du.
Als Henrik und ich ge·heiratet haben,
haben wir alle ein·geladen.
Dich nicht.
„Mein Bruder lebt in Kanada.
Da soll er auch bleiben.
Ich will ihn nicht mehr sehen“
Das hatte Henrik mir ge·sagt.
Auch von dem großen Streit erzählt.
Wegen viel Geld und einer Menge Drogen.
Und dass du ab·gehauen bist.
Und Henrik alles wieder in Ordnung ge·bracht hat.
Weil Henrik ein ordent·licher Mensch ist.
Henrik weiß, was sich ge·hört.
Henrik ist ehrlich.
Auf Henrik kann man sich ver·lassen.
Das habe ich an Henrik ge·liebt.
Es war eine leise Liebe.
Ich liebe Henrik.
Das habe ich ge·dacht.
Und ge·glaubt: Das ist wahr und ehrlich.
Henrik und ich haben also ge·heiratet.
Wir haben Elisa be·kommen.
Mein Leben war gut.
Henrik war ein guter Mann für mich.
Ein guter Vater für Elisa.
Ich war eine gute Frau.
Eine gute Mutter.
Alles war gut und in Ordnung.
Doch dann ist Oma Irmi ge·storben.
Die Mutter von Henrik und Dir.
Und wenn das passiert,
wenn jemand stirbt:
Dann kommen die Söhne zurück.
Auch aus Kanada.
Henrik hatte dir ge·schrieben.
„Mutter ist tot.“
„Ich komme“, hattest du zurück ge·schrieben.
Henrik war böse.
„Jetzt will er kommen.
Wo alles zu spät ist.
Von mir aus soll er in Kanada bleiben!“
„„Aber er ist dein Bruder“, habe ich gesagt,
„Vielleicht gibt es Ver·söhnung.
Einen neuen Anfang.“
Und Elisa war neu·gierig.
Ein Onkel von weit weg.
Ein Onkel aus Kanada.
„Da gibt es sogar Bären!“, hat Elisa gesagt,
„Und viele Bäume“
Und dann bist du tat·sächlich ge·kommen.
Zu spät zur Be·erdigung.
Wir waren alle schon auf dem Fried·hof.
Es war kalter Winter und die Luft sehr klar.
Der Sarg wurde nach unten ge·senkt.
Ich habe wo·anders hin·gesehen.
Und da bist du den Weg entlang ge·kommen.
Ich habe dich ge·sehen.
Und du mich.
Es war der schlechteste Zeit·punkt.
Elisa hat ge·weint.
Henrik hat ge·weint.
Ich habe ge·weint.
Und mein Herz, das war so offen.
Du bist zum Grab ge·kommen
Du hast nicht Henrik an·gesehen.
Du hast niemanden an·gesehen.
Nur mich.
Alles wurde still um mich.
Ich konnte nichts mehr hören.
Elisa hat an meiner Hand ge·zogen.
Ich habe sie nicht auf den Arm ge·nommen.
Ich habe nur da ge·standen.
Und dich an·gesehen.
Ganz ehrlich?
Ich habe es da schon ge·wusst.
Ich wollte es nicht wissen.
Das kann nicht sein.
Das darf nicht sein.
Das soll keines·falls ge·schehen.
Aber ich habe ge·wusst:
Das hier passiert jetzt.
Und ich kann nichts da·gegen machen.
Ich kann es gut finden.
Ich kann es schlecht finden.
Aber das hier ist größer als ich selber.
Das ist Liebe.
Liebe fragt nicht.
Liebe ist.
Ich weiß von der Be·erdigung kaum noch was.
Wir sind danach alle ins Café ge·gangen.
Du hast Henrik die Hand ge·geben.
Und er hat sie ge·nommen.
„Ich bleibe jetzt hier“, hast du ge·sagt
Und auch: „Es tut mir leid“
Elisa hat dich gefragt:
„Bist du der Onkel aus dem Bären·wald?“
Und du hast ge·brummt wie ein Bär.
Da ist sie auf dich rauf ge·klettert.
Obwohl sie dich gar nicht ge·kannt hat.
Obwohl sie so traurig war.
Du kannst alles gut machen.
Das habe ich gedacht.
Dein Bären·brummen, das ist ge·blieben.
Ich höre es bei der Liebe mit dir.
Ein leises Brummen, zu·frieden und satt.
Und ich liebe es.
Ich liebe es und liebe es und liebe es
und liebe dich.
Elisa liebt dich.
Und Henrik liebt dich auch wieder.
Bären·brüder seid ihr wieder.
Es ist Liebe überall.
Nur ich: Darf dich nicht lieben
Und du: Darfst mich nicht lieben
So lieben wir uns heimlich.
Das erste Mal eine Woche nach der Be·erdigung.
Ich habe dir Sachen ge·bracht.
Zu dir ins Hotel.
Bitte, das muss man uns glauben.
Wir haben uns be·müht.
Wir haben es 2 oder 3 Sätze ge·schafft.
„Hallo, hier sind die Sachen“
„Danke für´s Bringen“
Das war es auch schon.
Kein Wort mehr.
Wir waren nackt.
Schon bevor wir uns aus·gezogen haben.
In Deinen Augen habe ich ge·sehen:
einen Wald und Bären und einen Felsen in der Sonne.
Was du in meinen Augen ge·sehen hast?
Das weiß ich nicht.
Etwas Schönes.
Denn du hast ge·lächelt.
Und dein Lächeln hat mich weich ge·macht.
Weich und offen und zart.
Wer hat an·gefangen?
Und war es ein Kuss?
Oder war es deine Hand auf meiner Hüfte?
Oder war es mein Schritt zu dir?
Es war wie in einem Traum.
Wo man Dinge tut,
die man sich sonst nie traut.
Sich das Kleid aus·ziehen zum Bei·spiel.
Vor einem den man nicht kennt.
Einen küssen zum Bei·spiel.
Den man nicht küssen darf.
Unter jemand liegen auf einem Bett in einem Hotel.
Wo man doch ein Bett zu Hause hat mit jemand anderem.
Und nie wieder will man anders·wo sein.
Als genau da.
Genau so.
Mit genau dem.
Im Traum kann man fliegen.
Und in der Liebe auch.
Und es ist gut,
wenn es ein Mann ist aus dem Bären·wald.
Der kann eine Frau auf·fangen.
Wenn sie fliegt
und wenn sie fällt.
Liebe ist fliegen und wissen:
Du kannst fallen.
Aber du hast keine Angst.
Danach bin ich zurück ge·fahren.
Zu Henrik und Elisa.
Ich habe Abendbrot ge·macht.
Ich habe Elisa ge·küsst.
Ich habe mich mit Henrik unterhalten.
Aber ich habe ge·wusst:
Ich bin nicht ganz hier.
Ein Teil von mir ist jetzt im Bären·wald.
Und bleibt für immer da.
Und ich kann gar nichts tun da·gegen.
Ich bin jetzt eine Frau mit 2 Leben.
Einem hier und einem dort.
Und nie, nie, nie darf das heraus kommen.
Denn ich habe ver·sprochen,
dass ich Henrik immer liebe.
Und Elisa ist noch so klein.
Ich habe es ver·sucht.
Wirklich ver·sucht.
Aber ein Vogel ver·gisst das Fliegen nicht.
Und ein Bär wird immer wieder hungrig.
„Flieg, Mara, flieg...“, flüsterst du
Und ich fliege.
Nah bei dir und ganz weit weg.
Wir liegen auf dem Bett.
Es ist jetzt Sommer und sehr heiß.
Nur ein Laken über uns.
Durchs Fenster kommt Straßen·lärm.
Es ist alles falsch und alles richtig.
Die Zeit ist schnell und immer zu wenig.
Der Zigaretten·rauch schwebt über uns.
Wie eine Wolke.
Ich sehe Wolken·bilder im Zigaretten·rauch.
„Da ist ein Bär!“, sage ich zu dir,
„Ein fliegender Bär“
Und du lächelst mit ge·schlossenen Augen.